Sonntag, 10. Mai 2020

[Rezension] Love Letters to the Dead




Titel:
Love Letters to the Dead
Autorin:
Ava Dellaria
Übersetzerin:
Katarina Ganslandt
Verlag:
Verlagsgruppe Random House FSC
veröffentlicht:
München 2014
3. Auflage
Original :
Love Letters to the Dead, 2014
ISBN:
978-3-570-1634-6
Seiten:
415
Preis:
16,99€

Grober Inhalt:
Ein Mädchen muss nach dem Tod der Schwester ihre große Liebe, Freunde und - vor allem - ihre innere Ruhe und ihr eigenes Leben wiederfinden.
Cover des Buches
Einen herzlichen guten Tag allerseits.

Wahrscheinlich fragst du dich jetzt, wie so jemand wie ich an so ein Buch wie das hier gelangt, aber, nun ja, was soll ich sagen … Zufall. Es war Zufall. Und Zufall ist, wie schon der französische Autor Anatole France meinte, »das Pseudonym Gottes, wenn er nicht unterschreiben will«. Herzlich willkommen also zu ›Love Letters to the Dead‹, einer Rezension, die eigentlich ebenso wenig existieren dürfte wie besagte Briefe an die Toten.

Ich will mich ja nicht beschweren, aber das Buch ist … etwas … naja … miserabel.

Naja, das alles fängt schon beim Klappentext an:


»Es beginnt mit einem Brief.

Laurel soll für ihren Englischunterricht an eine verstorbene Persönlichkeit schreiben.

Sie wählt Kurt Cobain, den Lieblingssäänger ihrer Schwester May, die ebenfalls viel zu früh starb.

Aus dem ersten Brief wird eine lange Unterhaltung mit toten Berühmtheiten wie Janis Joplin, Amy Winehouse und Heath Ledger. Denn die Toten verstehen Laurel besser als die Lebenden.

Laurel erzählt ihnen von der neuen Schule, ihren neuen Freunden und Sky, ihrer großen Liebe.

Doch erst, als sie die Wahrheit über sich und ihre Schwester May offenbart, findet sie zurück ins Leben…


›Dieses Buch ist einfach großartig.‹

Stephen Chbosky

Bestsellerautor von Das also ist mein Leben*«

*anderer Titel für das gleiche Buch: Vielleicht lieber Morgen


Also, mein Freund, du musst schon zugeben, dass der letzte Satz ein ziemlicher Spoiler ist und schon im Klappentext dieser Gegensatz zwischen ›Der Schreiber lebt und fühlt sich tot‹ und ›ihre Adressaten sind tot und fühlen sich (für Laurel) lebendig an‹ so offensichtlich betont wird - die Autorin hätte diesen Hinweis auf diese unglaublich wunderbare Antithese nicht unangenehmer hervorheben können.

… okay, das war vielleicht etwas zu gemein. Trotzdem muss ich sagen, dass mich dieser Klappentext nach dem Lesen überhaupt nicht gereizt hat. (Grundsätzlich hat mich das ganze Buch nicht gereizt, aber das lag nicht nur am Klappentext.)

Und das macht auch nicht dieses großartige Zitat von Chbowsky gut, auch wenn es Stephen Chbowski ist, der amerikanische Bestsellerautor für Jugendliteratur. ›Dieses Buch ist einfach großartig‹ - das kann doch nicht das einzige sein, was er dazu gesagt hat! Was ist das denn für eine nichtssagende Aussage?

Aber meinetwegen, Man kann ja trotzdem mal in dieses Buch hereinschauen, dachte ich mir, wo es doch laut Chbowski so großartig sein soll.

Leider fängt der Text ziemlich exakt genau so an wie es der sogenannte Klappentext versprochen hat. Laurels Schwester ist leider viel zu früh verstorben. Jetzt geht sie auf eine neue Schule, findet neue Freunde und muss für den Englischunterricht einen Brief an Kurt Cobain schreiben. Ja, ich weiß, das hättest du jetzt nicht erwartet. Ist aber so.

Und ich muss zugeben, ich habe noch nie ganz verstanden, warum in Briefromanen wörtliche Rede vorkommt. Ich meine, das ist doch seltsam. Ich schreibe dir ja auch nicht plötzlich, mitten im Brief:

In dem Moment, in dem ich das gerade schreibe, trabt Amira in mein Zimmer und sieht mich groß an.

»Du, Irving, ich habe gerade … oh, was liest du denn da?«

Ich seufze. »Was war dein Problem?«

»Irving, komm schon! Was liest du da? Du kannst es mir ruhig sagen, ich verrate es auch niemandem.«

Das ist doch komisch, oder?

Generell ist das Buch komisch. Hier, zum Beispiel, auf Seite 37:

›Seine Stimme klang wie Kies, der zu Zuckerkristallen zerrieben wird.‹

Erst einmal: man kann Kies nicht zerreiben. (Erst recht nicht zu Zucker.) Und so schön der Vergleich zu Skys Rolle in Laurels Leben auch ist: nein. Man kann Kies einfach nicht zu Zucker zerreiben und das hilft mir auch überhaupt nicht, wenn ich mir vorstellen will, wie seine verdammte Stimme denn nun klingt. Da hätte die Autorin auch schreiben können ›Seine Stimme klang wie der Boden, auf dem ich stand‹, das wäre genauso nützlich gewesen.

»Das war gemein, Irving.« Amira schüttelt den Kopf. »Du darfst das nicht so streng sehen. Das ist ein Liebesroman, keine…«

»... Literatur?«

»… keine literarische Meisterleistung. Schau mal, dieses Buch hier, das liest du nicht, weil dir die Worte so gut gefallen. Du liest es einfach, weil es … schön ist.«

»Kunst-Banausin.«

»Was?«

»Nichts.«

Abgesehen davon sind die Figuren ziemlich … naja, nett ausgedrückt könnte man sagen, ›todsterbenslangweilig‹.

»Hey. Das streichst du jetzt aber raus, Irving. Der arme Autor!«

»Erstens ist es eine Autorin, und zweitens kann sie das hier sowieso nicht lesen. Weil sie  höchstwahrscheinlich sowieso gar kein Deutsch spricht, sondern nur Englisch. Und kannst du jetzt bitte aufhören, ständig meine Texte zu korrigieren?«

»Du schreibst das hier mit? Diese Unterhaltung?«

»Ja.«

»Hast du nicht vorhin noch geschrieben, das wäre komisch?«

Die Charaktere sind also langweilig. Warum?

»Hey! Du hast mir nicht geantwortet!«

Sie haben keine Tiefe. Und zwar in der perfidesten Art: nämlich so, dass man nicht direkt darauf kommt, weil sich die Autorin sie zu Personifikationen ihrer Probleme gemacht hat. Aber natürlich hat nicht jede Figur ein Problem. Nein! Jede Figur hat ganz viele Probleme! Kurz: Sie sind allesamt absolut überdramatisiert.

»Ich finde, es ist ein ganz normales Romantik-Buch. Das sehr viele, wichtige Probleme der amerikanischen Gesellschaft anspricht.«

»Das Problem ist auch gar nicht, dass die Probleme der amerikanischen Gesellschaft angesprochen werden. Das Problem an ›Love Letters to the Dead‹ ist, dass gefühlt alle Probleme der amerikanischen Gesellschaft…«

»Jetzt übertreibst du wieder. Da gibt es noch ein paar andere. Die Außenpolitik, zum Beispiel.«

Ich funkle Amira an, in der Hoffnung, sie damit zu vertreiben, aber Amira lächelt nur zurück.
»Jemand muss doch aufpassen, dass du nicht zu gemein wirst«, sagt sie freundlich.

… wie auch immer, das Buch ist meiner Meinung nach überdramatisiert. Jede Figur im Buch hat eins dieser typischen Probleme: Nicht-Akzeptanz von Homosexualität, häusliche Gewalt, sonstige Gewalt, diverse Traumata, Selbstmordgedanken, verrückte Eltern, fehlende Eltern, tote Eltern … teilweise glaube ich fast, der einzige Daseinsgrund für die Figuren wäre, eins dieser Probleme im Buch vorkommen zu lassen.

(… und es spricht für sich, dass Amira dagegen nichts einzuwenden hat.)

Kurz gefasst: Ich finde das Buch von der Idee her ziemlich unkreativ, ziemlich gewöhnlich geschrieben und ziemlich langweilig, wenn man Charaktere und Handlung betrachtet. Nicht einmal die eigentlich ernsten Thematiken kann man ›Love Letters to the Dead‹ zugute sprechen, weil sie durch ihre Masse einfach nur lächerlich wirken.

Das perfekte Buch für Jugendliche also!



»… der Schlusssatz hätte wirklich nicht sein müssen.«

»Was denn? Stimmt doch.«

»Ja. Aber das klingt so, als wären Jugendliche anspruchslos und würden alles lesen, solange darin psychische Probleme vorkommen.«

»Und? Wo ist das Problem?«

Aber sie seufzt nur.



»Siehst du, habe ich doch gesagt. So schlimm war es auch wieder nicht.«

»...«

»Irving?«

Liebe Grüße. Oder was auch immer.

Irving

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