Mittwoch, 26. Februar 2020

[Rezension] Fräulein Nettes Kurzer Sommer




Titel:
Fräulein Nettes kurzer Sommer
Autor:
Karen Duve

Verlag:
Galani Berlin
veröffentlicht:
Köln 2018
9. Auflage
ISBN:
978-3-86971-138-6
Seiten:
581
Preis:
25€

Grober Inhalt:
Die Biografie einer jungen Dichterin um 1820: Annette von Droste Hülshoff, die wegen ihrer selbstbewussten Art bei vielen aneckt - und durch ihre Liebe zu einem Bürgerlichen in ernsthafte Schwierigkeiten gerät.
Cover des Buches
Liebstes aller Leserchen,

Du glaubst nicht, was ich für ein schönes Buch gefunden habe. Es ist noch nicht allzu alt, deshalb kennst du es vermutlich noch nicht. Aber das macht es ja nur umso lesenswerter.

Obwohl ich so etwas eigentlich gar nicht so sehr mag, ist es eine Biografie - aber bitte, lass dich jetzt nicht davon abschrecken, es ist trotzdem ein unglaublich süßes Buch: Fräulein Nettes Kurzer Sommer, geschrieben von Karen Duve.

Wie schon im Titel steht, handelt der Roman von Annette von Droste-Hülshoff - ein, zugegeben, etwas klobig klingender Name, und doch steckt dahinter eine reizende Frau in ihren jungen Jahren, die sich nicht in die gesellschaftlichen Normen einfügen will. ›Fräulein Nette ist eine Nervensäge‹ lautet schon der erste Satz aus dem Einbandtext und fasst die Lage der Zwanzigjährigen Schriftstellerin ziemlich gut zusammen. Sie wird unterdrückt, schafft es aber, sich davon nicht kleinkriegen zu lassen und nicht aufzugeben. Erst die Geschehnisse im Sommer 1820 können sie aus der Bahn werfen…
Aber ich will ja nichts verraten. Nur so viel: es hat etwas mit einer Krankheit zutun, mit den Gebrüdern Grimm und mit einer Romanze.

Ja, die Geschichte spielt im 19. Jahrhundert, genau genommen zwischen den Jahren 1817 und 1820. Beginnende Industrialisierung, ein von der Bürgerschaft bedrängter Adel, erster brutaler Judenhass - ohne Frage eine schwierige Zeit, Konflikte sind vorprogrammiert.

Im Gegensatz zu manchen anderen historischen Romanen ist ›Fräulein Nettes Kurzer Sommer‹ jedoch auf keinen Fall auch unlesbar geschrieben. Hier und da wirken ein paar Worte etwas, nun ja, seltsam, aber das stört wirklich überhaupt nicht den Lesefluss und bereichert das Buch um diesen ganz eigenen, schönen 1800er-Zeitgeist. Die Stimmung, die Atmosphäre schichtet mit jedem Wort ein Stückchen mehr Gefühl auf, bis man sich fühlt, als wäre man selbst 1797 geboren, gerade dreiundzwanzig und würde zusammen mit ein paar Bürgerlichen die Welt der neuen, ›modernen‹ Poesie erkunden. Ein einziger Traum - mit einem wahrlich herzzerreißenden…

Aber ich will ja nichts verraten.

›Fräulein Nettes Kurzer Sommer‹ ist spannend - spannend und herzzerreißend, und das liegt vor allem daran, dass dem Leser alle Figuren ans Herz wachsen. Die meisten sind unglaublich lieb, so lieb, dass man sie am liebsten aus dem Buch herauslesen und mit zu sich nach Hause nehmen würde. Aber selbst, wenn sie es nicht sind, sind sie doch alle interessant; ein ganz klarer Vorteil davon, dass die Geschichte sehr eng auf wahre Begebenheiten aufbaut und die Autorin sich unglaublich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, ist nun einmal, dass keine Figur flach ist, jede ihren eigenen Hintergrund hat und es immer Seiten gibt, die man noch nicht von ihr kannte.

Grundsätzlich handelt deshalb auch jeder von ihnen menschlicher, als man es vielleicht von üblichen Büchern gewohnt ist. Manchmal, ganz selten, kommt es zwar vor, dass sie plötzlich eine ganz andere Einstellung haben als davor - aber wenn wir ehrlich sind, geht das wohl jedem von uns so. Erst recht, wenn man bedenkt, dass Annette nur knapp über zwanzig Jahre alt ist.

… was die Handlung umso trauriger macht. Nicht alles in dem Buch läuft so, wie die Personen es sich gewünscht hätten. Wie es im Leben eben so ist.

Tatsächlich kann ich kaum etwas an Karen Duves Nicht-mehr-ganz-Neuerscheinung kritisieren. Ja, zugegeben, es gibt ein kleines Handlungstief in der Mitte - aber auch das lässt sich logisch rechtfertigen und ist nicht so lang, dass man es nicht trotzdem schön finden könnte. Abgesehen davon ist der folgende Teil des Buches umso schöner.

Abschrecken darf man sich vor allem nicht von den vielen Namen, die gleich im Einband aufgelistet werden und in den ersten Kapiteln erwähnt werden; die Hälfte davon braucht man nur am Rande, und den Rest lernt man sehr gut mit der Zeit kennen. Keine Sorge, du musst also nicht jeden Namen sofort auswendig lernen. Es erschließt sich von selbst, ganz so, wie das in einem guten Roman eben sein sollte.

Was ich allerdings am meisten an ›Fräulein Nettes Kurzer Sommer‹ schätze, ist die elegante Verflechtung von Liebesgeschichte und historischem Kontext, die Duve wirklich bemerkenswert gut gelingt. Jemand, der gern etwas über die Geschichte des 19. Jahrhunderts erfahren möchte und sich nach einem tieferen Eindruck sehnt, wird das Buch ebenso liebgewinnen wie jemand, der nach einer berührenden Geschichte sucht. Man kann sich in Zeit und Figuren einfühlen und kaum etwas dagegen tun, vom Strudel der Worte mitgerissen zu werden…











Es ist auf jeden Fall jedoch ein Buch, von dem du einmal gehört haben solltest. Auch wenn du historisch nur so halb interessiert bist, kann ›Fräulein Nettes Kurzer Sommer‹ etwas für dich sein. Was du mitbringen musst, ist aber auf jeden Fall eine Vorliebe für Figuren und ihr Schicksal - und für ein bisschen Vergangenheit natürlich auch.

Liebe Grüße! 

Amira

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