Mittwoch, 8. Januar 2020

[Rezension] Ich habe den Todesengel überlebt




Titel:
Ich habe den Todesengel überlebt.
Ein Mengele-Opfer erzählt
Autorin:
Eva Moses Kor
Co-Autorin:
Lisa J. Buccieri
Übersetzerin:
Barbara Küper

Verlag:
Random House GmbH
veröffentlicht:
München 2012
12. Auflage
Original :
Suriving the Angel of Death.
The Story of a Mengele Twin in Auschwitz, 2009

ISBN:
978-3-570-40109-5
Seiten:
197
Preis:
6,99€
Cover des Buches
Wenn man die NS-Diktatur anspricht, gibt es prinzipiell genau vier mögliche Arten der Reaktion: einmal gibt es natürlich die Leute, die genervt davon sind und das Thema wechseln wollen. Nicht zu verwechseln sind diese Leute aber mit denen, die das Thema wechseln wollen, weil sie zu entsetzt, schockiert und ergriffen worden sind. Und dann gibt es die, die das alles als eine Art Hollywood-Attraktion sehen und unbedingt mehr davon erfahren wollen, weil es ja so spannend sei und so unglaublich ekelhaft-furchtbar-unglaublich, dass es manche Leute eben nur anziehen kann.

… und dann gibt es die, die einfach noch keine Ahnung haben, weil sie entweder zu jung oder zu weltfremd dafür sind. Aber trotz ihrer recht geringen Zahl unter unseren Lesern soll es heute genau um diese letzten Leute gehen.

Kinder.

Zugegeben, ein etwas zwielichtiger Einstieg. Zu meiner Verteidigung, bei der Frage ›wie bringe ich Kindern das Thema KZ Auschwitz bei?‹ gibt es vermutlich nur zwielichtige Einstiege - die ungewollt auch immer makaber werden, sobald man das Thema auf ausgerechnet den ›Todesengel‹ lenkt: auf Mengele, Dr. Josef Mengele, der KZ-›Arzt‹, der »wie ein Filmstar« aussah (S. 64, Z. 25), und dessen Beschäftigung es war, verhungernden Zwillingskindern Infusionen von Fleckenfieber zu geben, ihnen Chemikalien zu spritzen oder sie einfach zu vergiften, um sie später aufschneiden und obduzieren und mit dem anderen Zwilling vergleichen zu können. Wie bringt man also Kindern bei, dass so etwas geschehen kann?

Genau, mit einem Buch. Genauer gesagt mit dem Buch ›Wie ich den Todesengel überlebte‹, der Erzählung von Lisa Rojany Buccieri nach den Erinnerungen von Eva Mozes Kor.

Wie bei den meisten Erfahrungsberichten handelt ein Großteil des Buches davon, dass jemand - Eva, eine Zeitzeugin - von ihrem Leben erzählt. Das heißt, nicht erst seit dem KZ Auschwitz, sondern auch von dem Davor, von ihrer kurzen Schulzeit, von dem wachsenden Antisemitismus, von Fluchtversuchen, Deportation, vom Getto. Und von dem Danach, von der Rettung, den Zuständen danach, ihrem Leben danach. Aber natürlich auch von Mengele.

Und so schwer der Inhalt zu begreifen ist, so einfach ist der Stil des Buches; es ist eben ein Buch für Kinder. Gleichzeitig ist es aber auch ein Buch für jeden außer Kindern, bezogen auf das Verständnis, und ein Buch für alle, egal welchen Alters; weil es zu furchtbar ist, um vergessen zu werden - kurz, ungefähr ein Buch für Zwölf- bis Fünfzehnjährige.

Der Stil ist dementsprechend, sagen wir, angepasst. Ohne große Ausschweifungen, ohne besondere Formulierungen, ohne schwierige Wörter, die nicht hinten in einem Register erklärt worden wären. Es liest sich einfach und schnell, der Inhalt ist kurz und knapp dargestellt, mit Kommentaren und Gefühlen natürlich, aber alles in allem relativ nüchtern. Gewaltszenen werden nicht zu sehr ausgeführt, vor allem psychischen Terror beschreibt die Zeitzeugin: Wie sich der Antisemitismus in ihrem Heimatdorf niederschlug, wie sie irgendwann nicht mehr in die Schule gehen durften, für Dinge schuldig gemacht wurden, an denen sie nicht schuld waren, wie ihr Haus besetzt wurde - kurz: wie aus ihren ehemaligen Freunden und Bekannten Marionetten der NS-Ideologie wurden.

Für jemanden, der sich explizit mit dem Thema Josef Mengele auseinandersetzen möchte, würde ich das Buch allerdings nicht empfehlen; Es sei denn, er ist zwölf bis fünfzehn Jahre alt. Tatsächlich ist es zwar eine gute Erklärungslektüre für diese Zeit, die vor allem jüngere Jugendliche lesen können, und wer sich nicht allzu sehr um den Schreibstil kümmert, wird hier auch ein sehr gutes Buch mit furchtbarem Inhalt finden. Sonderlich tief dringt man aber nicht in die Materie ein.



Ganz unabhängig davon möchte ich allerdings noch einmal betonen, dass ein solches Buch immer größten Respekt verlangt. Wer auch nur ein kleines bisschen Verstand in seinem Kopf und Gefühl in seinem Herz besitzt, weiß, wie grausam, furchtbar, unvorstellbar, menschenverachtend, unvertretbar, ekelerregend, widerlich, pervers und barbarisch das KZ Auschwitz-Buchenwald war, und weiß, dass jeder, der diese Hölle auf Erden überlebt hat, sein Leben lang darunter leiden wird. Und er weiß, dass es nichts gibt, das so etwas unvergessen oder verzeihlich machen kann, und das bedeutet auch, dass niemand, absolut niemand, behaupten kann, es sei nicht da oder gar ›gut‹ so gewesen - weil er damit all denen, die um das blanke Überleben gekämpft haben und deren Leben grundlos zerstört wurden, sagt, all das sei nur simuliert; und es gibt keine größere Respektlosigkeit, als einem Opfer zu sagen, es sei der Täter.

Danke.

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